22.05.2020

Auswirkungen der Eindämmungs-Verordnungen auf Gewerbemiete

VMG | Nachrichten | Corona

Zu den Auswirkungen der SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnungen auf die Gewerbemiete; Teil 1: Auswirkungen der Öffnungsverbote

Der Kampf um das wirtschaftliche Überleben der von den Anordnungen der SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnungen betroffenen Gewerbemieter ist in vollem Gange und die Auseinandersetzung über die rechtlichen Auswirkungen der Anordnungen ist vorwiegend von einem Lagerdenken geprägt. Während die anwaltlichen Vertreter der Vermieter weitgehend jede Auswirkung auf die Mietzahlungsverpflichtung der Gewerbemieter abstreiten, verfolgen die Mietervertreter unterschiedliche rechtliche Ansätze, aus denen sich eine Befreiung von der Mietzahlungspflicht oder aber jedenfalls eine Reduzierung der Miethöhe ableiten lässt. 

1. Auswirkungen des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

Mit Artikel 5 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie wird das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch geändert und ein Artikel 240 eingeführt, der Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie enthält.

Nach § 2 dieser Sonderregelungen werden die Vorschriften über die Kündigung eines Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzuges modifiziert und wesentlich eingeschränkt. Auf Mietrückstände des Zeitraums vom 01.04. bis 30.06.2020 dürfen keine Kündigungen wegen Zahlungsverzuges gestützt werden, sofern der Mieter glaubhaft macht, dass die Nichtleistung der Miete auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beruht. Der Ausschluss gilt nach Absatz 4 bis zum 30.06.2022. Mietrückstände aus dem genannten Zeitraum können deshalb vor Ablauf dieses Termins nicht zur Kündigung wegen Zahlungsverzuges herangezogen werden. Mietrückstände aus den Zeiträumen vor dem April 2020 und nach dem Juni 2020 können dagegen eine derartige außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

Eine weitergehende Wirkung ist den Sonderregelungen des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie nicht zu entnehmen. Die Miete wird unverändert fällig und es fallen Verzugszinsen an.

Das Gesetz schließt aber (selbstverständlich) auch nicht aus, dass die Mietzahlungsverpflichtung aufgrund der Auswirkungen der Pandemie und der dazu erlassenen Verordnungen aus anderen rechtlichen Gründen reduziert ist oder vollständig entfällt. Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie verhält sich dazu neutral. Insofern liegt die Äußerung der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, Christine Lambrecht, neben der Sache, mit der sie größere Einzelhandelsunternehmen wegen der Ankündigung scharf kritisiert hat, Mietzahlungen während der Dauer der Anordnungen zur Schließung von Einzelhandelsgeschäften einstellen zu wollen. Diese Ankündigung der Unternehmen könnte zwar als wenig gelungene Öffentlichkeitsarbeit angesehen werden, sie stützen sich aber - soweit ersichtlich - nicht auf das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie. Vielmehr dürften die Ankündigungen auf einer individuellen Beurteilung der Rechtslage der von den Unternehmen geschlossenen Mietverträge beruhen. Wie aufzuzeigen sein wird, ist dies ist nachvollziehbar, sofern die Verträge der üblichen Gestaltung von Gewerbemietverträgen über Einzelhandelsgeschäfte entsprechen.

2. Mietzweckvereinbarung als Grundlage für die Mietreduzierung

Gewerbemietverträge über Einzelhandelsgeschäfte enthalten weit überwiegend Regelungen darüber, zu welchem Zweck die Gewerberäume vermietet werden. Über die Beschreibung des Mietzwecks kann der Vermieter steuern, wie der Geschäftsbetrieb des Mieters ausgerichtet sein muss. Wer zum Betrieb eines Schuhgeschäftes mietet, dem ist es untersagt, sein Sortiment umzustellen, um einen Buchhandel zu betreiben. Regelmäßig unterliegt der Mieter zudem einer Betriebspflicht. Dann ist er sogar verpflichtet, sein Geschäft dem Mietzweck entsprechend zu betreiben und während der im Vertrag angegebenen Zeiten zu öffnen.

Die Beschreibung und damit Beschränkung des Mietzwecks ist regelmäßig auch dann vorgesehen, wenn dem Mieter kein Konkurrenzschutz eingeräumt, sondern der Konkurrenzschutz ausdrücklich ausgeschlossen wird.

Je detaillierter der Mietzweck beschrieben wird, umso mehr Bedeutung hat er für die rechtlichen Auswirkungen, die sich ergeben, wenn dieser Zweck beeinträchtigt ist. Ist die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch aufgrund von Sach- und/oder Rechtsmängeln aufgehoben oder gemindert und ist diese Minderung nicht nur unerheblich, ist der Mieter von der Entrichtung der Miete befreit oder die Miete ist entsprechend der Beeinträchtigung gemindert (§ 536 Abs. 1 BGB).

Infolge der Beschreibung des Mietzwecks kann die Leistung des Vermieters zudem rechtlich unmöglich sein, wenn es aufgrund der Pandemie-Verordnungen unzulässig ist, die Mieträume zu dem vertragsgemäßen Gebrauch zu überlassen und zu nutzen. Der Vermieter wird dann von seiner Leistungsverpflichtung frei und auch der Mieter muss keine Gegenleistung erbringen, also keine Miete zahlen (vgl. §§ 275, 326 Abs. 1 BGB).

Durch die Festlegung des Mietzwecks ist zudem regelmäßig anzunehmen, dass dieser Zweck zur Geschäftsgrundlage des Vertrages wird. Kann er aufgrund einer Verordnung zur Bekämpfung der Pandemie nicht mehr ausgeübt werden, ist der Geschäftszweck temporär gestört. Nach § 313 Abs. 1 BGB kann dann die Anpassung des Vertrages verlangt werden, sofern die Beeinträchtigung so schwerwiegend ist, dass die Parteien den Vertrag in Kenntnis der Beeinträchtigung nicht oder nicht so geschlossen hätten. Ist eine Anpassung nicht möglich oder einem Vertragsteil nicht zumutbar, so kann dem benachteiligten Vertragspartner sogar ein Recht zur Kündigung zustehen (§ 313 Abs. 3 Satz 2 BGB).

Auf das dogmatische Verhältnis dieser verschiedenen rechtlichen Ansätze soll hier nicht eingegangen werden. Es zeigt sich aber, dass der Beschreibung des Mietzwecks maßgebliche Bedeutung dafür zukommt, ob die Anordnungen der Verordnungen zur Bekämpfung der Pandemie Auswirkungen auf die Mietzahlungsverpflichtung haben.

3. Standpunkt der Vermieter

Vermieterseits werden Auswirkungen von Schließungsanordnungen auf die Mietzahlungsverpflichtung vielfach abgestritten. In diesem Zusammenhang wird meist vertreten, die Anordnungen könnten nicht zu einem Mangel der Mietsache und damit einer Minderung der Miete führen. Die überlassenen Räume seien weiterhin grundsätzlich geeignet, dem Mietzweck zu dienen. Die Anordnung berührten nicht den Mietgegenstand selbst, sondern nur die geschäftlichen Rahmenbedingungen, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allein der Mietersphäre und dessen Risiko zuzurechnen seien. Der Vermieter sei nicht dafür verantwortlich, ob und inwieweit sich die geschäftlichen Erwartungen des Mieters realisieren ließen.

4. Stellungnahme

Diese Argumentation verkürzt die Problematik. Es ist zwar der kaufmännischen Eigenverantwortung des Gewerbemieters zuzuweisen, ob und inwieweit sich seine Erwartungen an dem von ihm gewählten Standort realisieren lassen, es entzieht sich aber jeder kaufmännischen Einflussnahme und Verantwortung, ob und inwieweit die Wahrnehmung eines ansonsten in jeder Hinsicht unbedenklichen und üblichen Mietzwecks temporär rechtlich verboten werden könnte. Damit konnte und musste niemand rechnen.

Mit einer vergleichbaren Konstellation mussten sich - soweit ersichtlich - seit dem zweiten Weltkrieg weder die Instanzgerichte noch der Bundesgerichtshof jemals befassen. Greift man in der Geschichte weiter zurück, stößt man aber auf eine Entscheidung des III. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 20.02.1919 (Az. III 384/16, RGZ 89, 203-207), in der es um eine sehr ähnliche Fallkonstellation ging:

Die Vertragsparteien hatten in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall im Januar 1914 einen Pachtvertrag über ein in Hamburg-Altona belegenes Ballhaus geschlossen, für den das Mietrecht weitgehend entsprechend anzuwenden ist (vgl. § 581 Abs. 2 BGB). Der Pachtvertrag sah eine Überlassung „zum Betrieb eines Ballhauses“ vor. Dieser Nutzungszweck wurde durch ein am 22. November 1914 wegen des Krieges erlassenes Verbot der Veranstaltung öffentlicher Tänze untersagt. Die Vertragsparteien stritten deshalb u.a. darüber, ob die Pacht ungeachtet des Verbotes von dem Pächter weitergezahlt werden müsse.

Das Landgericht nahm eine Zahlungspflicht an, das Oberlandesgericht verneinte sie. In der Revision bestätigte das Reichsgericht die Entscheidung des Oberlandesgerichts. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Pachtsache nicht nur im Rechtssinne mangelhaft und deshalb die Pacht gemindert, sondern die Verpflichtung des Vermieters zur Überlassung der Räume zum Betrieb eines Ballhauses außerdem unmöglich sei. Infolge dieser Unmöglichkeit sei auch keine Gegenleistung zu erbringen, also keine Pachtzahlung geschuldet.

Natürlich ist nicht zuletzt wegen des Alters der Entscheidung zu prüfen, ob der Sachverhalt auch heute so zu entscheiden wäre. Da die angewendeten gesetzlichen Vorschriften über die Mietminderung, die auch für Pachtverträge entsprechend gelten, und die Folgen der Unmöglichkeit einer Leistungsverpflichtung im Ergebnis unverändert geblieben sind, ist nicht ersichtlich, weshalb der Rechtsstreit heute anders zu entscheiden wäre. Man könnte allenfalls annehmen, dass der Mietzweck nicht vollständig unmöglich geworden und die Miete nicht vollständig gemindert ist, weil einem Mieter jedenfalls noch die Möglichkeit verbleibt, seine Geschäftseinrichtung und seine Ware im angemieteten Ladengeschäft zu belassen. Dieser verbleibende Nutzwert kann für einen Mieter, der sein Ladengeschäft nicht öffnen und betreiben kann, aber nur sehr gering zu bemessen sein.

Im Ergebnis dürfte deshalb davon auszugehen sein, dass ein Mieter keine Miete schuldet, wenn es ihm vollständig untersagt ist, seine Mieträume zu dem im Vertrag vorgesehenen Zweck zu nutzen. Er kann aber aufgrund einer mietvertraglichen Vorauszahlungsklausel verpflichtet sein, die Miete zunächst zahlen, um sie anschließend zurückfordern zu können. Derartige Klauseln sind in annähernd sämtlichen Gewerbemietverträgen enthalten und nach der Rechtsprechung auch zulässig, wenn die Rückforderung möglich bleibt. Der praktische Nutzen der Klausel dürfte aber erheblich eingeschränkt sein, weil das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie derzeit keine Kündigung wegen Zahlungsverzuges zulässt, die auf Mietrückstände des Zeitraum April bis Juni 2020 gestützt werden. Relevant werden sie aber für die Zeiträume davor und danach. Ebenso wenig erscheint es ausgeschlossen, dass der Vermieter die Befreiung von der Mietzahlungsverpflichtung oder die Reduzierung der Miete bestreitet und die Mietsicherheit in Anspruch nimmt.

 

Rechtsanwalt Dr. Christian Luckey

Dr. Luckey ist Partner der Kanzlei Kärgel de Maizière & Partner und berät seit vielen Jahren bundesweit im Immobilienrecht, Gewerbemietrecht, Wohnungseigentumsrecht, Grundstücksrecht sowie im Handels- und Gesellschaftsrecht,  Handelsvertreterrecht und dem Recht der Personengesellschaften.